
Bei einem Bürgerdialog-Termin traf sie auf ein Flüchtlingskind aus dem Libanon. Die 12 Jahre alte Reem brach in Tränen aus, als sie erzählte, dass sie aus Deutschland abgeschoben werden soll, obwohl sie hier gerne studieren und leben würde.
Angela Merkel versuchte hilflos das Mädchen zu trösten, erklärte aber, dass es nicht möglich sei alle Flüchtlinge aus dem Libanon dauerhaft aufzunehmen.
Es folgte sofort ein Aufschrei bei Twitter, Facebook etc. Hier das weinende ohnmächtige Kind, da die kalte mächtige Politikerin, die Schuld an den Tränen des Mädchens ist. Die Grünen beeilten sich Merkel eine herzlose Flüchtlingspolitik vorzuwerfen, einzelne Medien kritisierten Merkels Kälte.
Da bietet es sich an erstmal durchzuatmen. Keinen mitfühlenden Menschen lässt es kalt, wenn ein anderer Mensch weint, schon gar nicht, wenn ein Kind weint. Bei Angela Merkel kommt etwas Belastendes hinzu. Sie ist in der Situation nicht nur ein ohnmächtiger Erwachsener, der nicht weiß, wie er Trost spenden kann. Sie wird zugleich als Verursacherin des Leids der 12-Jährigen identifiziert. Sie ist die Kanzlerin, die durch ihre Politik dafür sorgt, dass Reem abgeschoben wird. So groß das Mitleid mit dem Mädchen ist, so groß wird, wenn man der Gleichung folgt, die Wut auf die mitleidlose Politikerin.
Eine Politikerin, die im Angesichts des wegen ihr leidenden Menschen nicht hilft. Claudia Roth hätte sicher anders reagiert. Sie hätte das Mädchen umarmt, wäre gerührt gewesen, hätte ihr versprochen sich persönlich für sie einzusetzen. Das ist menschlich richtig und nachvollziehbar, aber es ist nicht realistisch. Und leider gehört zur Politik die Betrachtung der Realität. Merkel hat nicht gesagt, dass sie sich persönlich für Reem einsetzen wird, ihr nichts versprochen. Stattdessen hat sie die gesetzliche Realität geschildert. Wäre Deutschland eine absolutistische Monarchie, hätte sie es leichter gehabt, sie hätte einfach befohlen, dass Reem bleiben darf.
Merkel ist aber, an Gesetze und die Realität gebunden, genauso wie es eine Kanzlerin Claudia Roth auch wäre. Diese Bindung an das, was Realpolitik genannt wird, ist oft herzlos und lässt zu wenig Raum für Gnade und Mitgefühl. Man kann Angela Merkel aber nicht vorwerfen, dass sie sich nicht populistisch verhalten hat. Was hätte Merkel denn idealerweise tun sollen? Die Antwort muss ernüchternd ausfallen: Es gibt kein ideales Verhalten in einer nicht-idealen Welt. Gesetze sind stärker als Mitgefühl, auch wenn wir uns lieber dem Mitgefühl hingeben als uns den Gesetzen zu ergeben. Merkel konnte nur verlieren und unsere Rührung über Reems Tränen hilft dieser auch nicht.
Was ihr helfen würde: Spenden für eine bessere Zukunft. Aber auch solche Spenden würden immer nur dem Einzelfall helfen. Über die Frage, wer bleiben darf und wer gehen muss, können wir aber indirekt als Wähler entscheiden. mit allen Konsequenzen. Das ist wirksamer und ehrlicher als die Wut auf eine Kanzlerin, die nicht allmächtig ist (me)